Die Winter-Weltmeisterschaft von Katar

Kann man sich auf diese WM freuen?

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Diese Weltmeisterschaft wird definitiv anders sein und darf sich so nicht wiederholen, sagt unser TNS SPORTS Autor in seinem kritischen Bericht zur Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Kann man sich trotzdem auf diese WM freuen?

6500. Das ist die Anzahl an Menschen, die seit der WM-Vergabe 2010 an Katar bei Bauarbeiten im Wüstenstaat gestorben sind – so berichtet es der englische „Guardian“. Die Dunkelziffer dürfte aber wohl weitaus höher liegen, andere Schätzungen sprechen von bis zu 15.000 gestorbenen Migranten.

Die Weltmeisterschaft auf der arabischen Halbinsel wird wohl die kontroverseste Weltmeisterschaft bisher sein. Eine WM im Winter und nicht im Sommer, für die nahezu alle europäischen Ligen ihren Spielplan verändern mussten. Eine WM, die Kosten in Höhe von 220 Milliarden Dollar verursacht hat. Zum Vergleich, das Turnier 2014 in Brasilien hat rund 15 Milliarden US-Dollar gekostet. Eine WM, bei der Kühlsysteme Stadien bei hohen Temperaturen klimatisieren. Eine WM, bei der Menschen- und Arbeitsrechte auf der Strecke bleiben.

Während FIFA-Präsident Gianni Infantino von der „besten WM“ überhaupt spricht, regt sich anderswo schon lange Widerstand. So wird die dänische Nationalelf in Katar mit einfarbigen Trikots auflaufen – Ausrüster Hummel will bei der WM nicht sichtbar sein. In vielen deutschen Großstädten wird auf Public Viewing verzichtet und auch die Initiative #Boycott Qatar 2022, die dazu aufruft, die Spiele nicht zu verfolgen, weder in den Stadien noch an den Fernsehschirmen, gewinnt immer mehr an Zuspruch.

Nichtsdestotrotz wird die WM stattfinden,
wie also als Fan mit diesem Turnier umgehen,
die Spiele schauen oder nicht?

Diese Frage muss letztendlich jeder Fußballfan für sich selbst entscheiden. Es scheint, dass viele das Bedürfnis haben, ein Zeichen gegen diese WM setzen zu wollen. Ein Boykott ist da naheliegend und letztendlich auch das Einzige, was man als Individuum tun kann. So ehrlich muss man sein. Die Vergabe kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, dafür ist es schon lange zu spät. Zur Wahrheit gehört auch, dass ein Boykott von Einzelpersonen nichts ändern wird, das autokratische System der FIFA nicht ändern wird. Und doch sollten die Fußballfans, für die es sich richtig anfühlt, die WM boykottieren. Denn falsch ist das allemal nicht.

Bei einem Boykott von Millionen von Fußballfans würde das ganze schon anders aussehen, doch wie realistisch ein so organisierter Boykott wäre, ist fraglich. Nicht unwahrscheinlich, dass in den kalten Monaten November und Dezember, voller Krisen, die Menschen vor den TV-Geräten sitzen, die Spiele verfolgen und froh über die Ablenkung sind.

Ob Sie die Spiele nun verfolgen oder nicht, allen sollte bewusst sein, dass sich diese Weltmeisterschaft nicht wiederholen darf. Der große Fehler war schon die Vergabe der Weltmeisterschaft an Katar vor 12 Jahren. Von den Verbänden wie dem DFB muss in Zukunft mehr kommen, als nur leere Worte bei Kampagnen oder Kapitänsbinden, die darauf aufmerksam machen sollen, dass die Verbände sich für Menschen der LGBQTI-Community einsetzen und sich mit ihnen solidarisieren. Den Worten müssen Taten folgen.

Der einzelne Fußballfan ist machtlos im System der FIFA, aber die Vereine, Spieler und Trainer haben Macht, sich gegen das System zu stellen, denn ohne sie funktioniert das System nicht. Sie müssen sich klar positionieren, dass Turniere nicht mehr in autoritäre Staaten vergeben werden dürfen.

Gegen diese Gegner muss sich die Nationalmannschaft durchsetzen

In der Gruppe E trifft die DFB-Elf auf Costa Rica, Japan und Spanien. Eine machbare Gruppe. Das dachte man allerdings bei der Weltmeisterschaft in Russland 2018 auch, als man als Weltmeister schon nach der Gruppenphase die Segel streichen musste. Sollte die DFB-Elf am ersten Spieltag gegen Japan nicht mit einem Sieg im Khalifa International Stadium starten, steht sie am zweiten Spieltag gegen Spanien schon mächtig unter Druck. Am dritten Spieltag der Gruppe geht es dann im Al-Bayt Stadium in Al-Khor gegen Costa Rica. Für die Mannschaft von Trainer Hansi Flick geht es sportlich nach der letzten WM um Widergutmachung und doch sollten die Nationalspieler auch die anderen Aspekte nicht aus den Augen verlieren, und immer, wenn es geht, auf die problematischen Zustände im Gastgeberland aufmerksam machen und so den Druck auf Katar und auch die FIFA zu erhöhen.

In der Mannschaft gibt es Persönlichkeiten wie Leon Goretzka, der schon oft genug bewiesen hat, sich bei gesellschaftlich relevanten Themen klar zu positionieren. Es bleibt zu hoffen, dass dies auch in Katar der Fall sein wird. Dass die deutsche Nationalmannschaft nicht schweigen wird, sondern Zeichen setzen wird. Auf und neben dem Platz.

Ob nun vor Ort im Stadion in Katar, beim Public Viewing in der lokalen Kneipe um die Ecke oder auf der Couch vor dem eigenen TV-Gerät, diese Weltmeisterschaft wird definitiv anders sein, sich anders anfühlen. Wenn Sie die Spiele boykottieren dann natürlich sowieso. Letztendlich trifft jeder Fußballfan diese Entscheidung für sich und das ist auch gut so. Nur das einzige was nicht hilft, ob man die Spiele jetzt schaut oder nicht, die Situation in Katar zu ignorieren, wegzusehen und so zu tun, als gäbe es keine Probleme. (tcb)


Dieser Artikel erschien zuerst im TNS SPORTS Magazin Nr. 30 | November 2022
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